Claudias Welt - Das Spiel 21: Ein Lebensraum ohne Leben
- claudia_roman

- 28. Jan. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Mai 2023
Hier geht es zum Anfang des Spiels:

Bild von David Mark auf Pixabay
Du verabschiedest dich brav und schon wenige Bushaltestellen später, steuerst du direkt auf dein Zuhause.
In Gedanken bist du immer noch bei der Sonderausstellung des Museums, die so ganz anders war, als der alte Plunder, der dort sonst herumsteht.
Im Gegenteil. Es befanden sich überhaupt keine Gegenstände im Ausstellungsraum.
Der Raum war weißgetüncht, völlig leer und das einzige Glas, durch das du schauen musstest, war eine Brille, die dir das Personal am Eingangsbereich, um den Hals legte. Es war keine normale Brille. Sie glich vielmehr einem Kasten, den man fest um die Augen spannen musste, so dass kein Licht von außen durchdrang. Das Glas befand sich auch nicht direkt vor dem Gesicht, sondern vergrößerte lediglich die bewegten Bilder, die später durch einen Schalter an der Seite des Kastens die Dunkelheit durchbrechen sollten.
Hinter der Tür schlug dir ein eigentümlicher Geruch entgegen. Es roch nach Salz, Tang, Teer und rostigem Eisen. Gurgelnde Geräusche und die Töne eines Echolots drangen aus den Lautsprechern, die an der Decke hingen.
Sobald du die Brille über die Augen gezogen hattest, verschwand der Raum und es erschien ein Countdown in deinem Blickfeld. Der Boden verschwand und obwohl du ihn noch spüren und dich über ihm fortbewegen konntest, hattest du das Gefühl zu schweben. Unter dir in einiger Entfernung befand sich ein Meeresgrund. Hin und wieder wühlten sich Lebewesen in den Sand und eine Schlammwolke vermischte sich mit dem klaren Wasser, um sich wie in Zeitlupe wieder zu senken. Die Felsen waren mit unterschiedlichsten Algenarten überzogen und bildeten bizarre Formationen. Bunte Fischschwärme glitten durch dein Sichtfeld und Blasen stoben an dir vorbei. Als dein Blick ihnen zur Oberfläche folgte, blendeten dich die Lichtreflexe, die die Sonne auf das Wasser zeichnete. Ein auffällig großer Fisch mit silbernen Schuppen umkreiste dich und zog deine Aufmerksamkeit mit sich, als er sich zu einem Objekt hinunterschlängelte. Die Sonnenstrahlen fielen gebündelt in die Tiefe, zerteilte die vom Plankton bewegte Umgebung und legten sich um das Holz eines versunkenen Segelschiffes. Es lag dir nun direkt zu Füßen und war von einem Algenteppich überzogen, Du konntest dem Wrack entgegen schwimmen, indem du dich in diese Richtung über den Boden bewegtest. Was für ein seltsames Gefühl, über eine Fläche zu gehen und dabei optisch nach unten zu sinken. Dich überfiel eine leichte Übelkeit, doch die Neugier, das Schiffsdeck zu erkunden war stärker.
Der Großmast, in der Mitte des Dreimasters war gebrochen und lehnte sich zum Bug gegen den Fockmast. Der Kreuzmast am Heck war komplett vom Schiffskörper getrennt und lag vor dem verrotteten, löchrigen Schiffsrumpf.
Nach wenigen Augenblicken warst du so nah an dem Schiff, dass du den geschwungenen Namenszug lesen konntest. Vor dir lag die „Zeelelie“, also ein holländisches Schiff, so deine Vermutung. Obwohl es den Eindruck erwecken sollte, als läge es bereits eine ganze Weile in tiefer See, war jedes Detail klar zu erkennen. Die Brille zog dich an den Resten der Segel vorbei, die sich sanft in der Strömung bewegten. Dann bliebst du zwischen den pelzigen Tauen über den zersplitterten Holzplanken stehen und verharrtest direkt über dem Deck.
Ein Ruf gefolgt von einem aggressiven Gurgeln drang aus einem der Lautsprecher und zwang deinen Blick in seine Richtung. Er führte dich zum Auge eines Monsters.
Es war ein winziges Auge, das in einem Berg aus Fleisch steckte. Es schien ohne Umwege in dich hineinzuschauen und jeden Winkel deiner Seele auszuloten. Es war dir nicht feindlich gesinnt, das vermutetest du zumindest. Vielmehr schienen in diesem Blick Neugier und die natürliche Weisheit, eines Wesen zu liegen, das die Evolution auf eine andere Reise geschickt hattest als dich. Es dauerte eine Weile, bis du das Tier als eine Buckelwal erkanntest. Er umkreiste das Schiff mit einer Eleganz, die die Masse seines Körpers kaum vermuten ließ und verschwand wieder in der Unendlichkeit des Ozeans.
Es war dieser Moment, in der dich der Meeressäuger ansah, der deine Gefühlswelt durcheinanderbrachte. In diesem Moment kam es dir vor, als erkannte dich das Tier, als ein fremdes, aber dennoch gleichwertiges Lebewesen. Aber das konnte nicht sein. Es war kein Lebewesen. Es war noch nicht einmal ein Gegenstand. So wenig es die Zeelelie in dem leeren Raum gab, existierte dieser Wal. Du hattest keine Ahnung, wie diese Brille funktionierte, aber du wusstest, dass sie dir nur den Schein einer Welt gab. Die Dinge waren dort wie Geister. Nein, eigentlich waren sie sogar noch weniger. Geister stellten zumindest das bloße Bewusstsein einer vergangenen Existenz dar, die Unterwasserwelt im Museum war nicht einmal das. Es war nicht einmal ein Traum, denn auch Träume setzt ein Bewusstsein voraus, das sich in den Traumgestalten spiegeln kann. In dem simulierten Wal spiegelte sich nichts, auch wenn er noch so intelligent zu gucken schien.
Du bist immer noch in Gedanken, als du die Tür zu deiner Wohnung aufschließt.
In deiner Vorstellung hast du es dir schon mit deinem Tee, einem Stück Kuchen und einem netten Film auf dem Sofa bequem gemacht. Kaum streift deine Aufmerksamkeit die Jacke, die du in einer fließenden Bewegung an den Harken hängst. Es ist die neue Jacke mit der Kapuze. Du hast sie gewählt, weil der Wettermann im Radio Regen angekündigt hatte. Doch es war zum Glück trocken geblieben. Beiläufig lässt du deine Hand über den Stoff gleiten und stutzt.
Die Jackentasche fühlt sich feucht an. Und schon siehst du, wie sich das Jackenbündchen dunkel verfärbt, sich ein Tropfen löst und zu Boden fällt.
Hattest du etwas in die Tasche gesteckt und dort vergessen? Du öffnest den Verschluss und holst ein sorgsam gefaltetes Blatt Papier heraus. Sonst ist nichts in der Tasche enthalten. Das Papier ist völlig durchnässt und wirkt wie eine Seite aus dem Buch, des seltsamen Mannes. Ein Schauder zieht dein Rückgrat hinab.
Was willst du tun?
Entfaltest du das Papier (Klicke unten in der Auswahlleiste auf "Der Ruf des Papiers" ) oder möchtest du es doch lieber in den Müll entsorgen? (Klicke auf "Der wandernde Mülleimer ")






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