Claudias Welt - Das Spiel beginnt: Eine seltsame Begegnung
- claudia_roman

- 6. Jan. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. März 2023

Dass dieser Nachmittag etwas Besonderes werden sollte, hattest du dir bereits gedacht, als dir die Anzeige des Naturkundemuseums in der aktuellen Ausgabe deines Stadtmagazins ins Auge schrie.
Im Grunde ist dein Verhältnis zu Museen eher zwiespältig. Auf der einen Seite hält sich dein Interesse für alten Plunder, den man hinter Glas nur mit den Äuglein streicheln darf, in überschaubaren Grenzen. Auf der anderen Seite musst du zugeben, dass die Gegenstände, die an diesem Ort von längst vergangenen Zeiten erzählen, eine nicht zu leugnende Faszination auf dich ausüben. Sie legen Zeugnis ab von der Lebensweise, den Freuden, den Festen und Problemen der Menschen aus längst untergegangenen Kulturen, die nicht nur dein eigenes Leben, sondern das der ganzen Menschheit in Beziehung zueinander setzen. Jedenfalls, wenn man es wagt, sich darauf einzulassen.
Dein Museumsbesuch galt aber nicht dem alten Plunder, sondern hatte ein anderes Ziel.
Heute gab es eine Sonderausstellung, die nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft in den Fokus stellte. Und du musst zugeben, sie hatte es in sich.
Du steigst wie auf Wolken die Treppe zum Museumsplatz hinunter und bemerkst nicht den alten Mann im grauen Anzug, der sich im schrägen Winkel deiner Wegrichtung nähert. Unter seinem Arm klemmen zwei Bücher und auch er schein mit seinen Gedanken nicht in der Gegenwart zu verweilen. Wenige Sekunden später passiert dann auch das, was abzusehen ist, wenn sich die Wege zweier Träumer kreuzen.
Der Mann wird von eurer Kollision fast die Treppe hinunter geworfen und er lässt erschrocken die Bücher zu Boden fallen. Sie sind bereits so zerlesen, dass einzelne Seiten über die Stufen in alle Richtungen wehen und vom Wind weiter voran getrieben werden.
Geistesgegenwärtig ergreifst du den Arm des Mannes und verhinderst den Sturz.
„Verzeihung.“ Die Entschuldigung kommt zeitgleich über eure Lippen. Erst jetzt scheint der Alte das zerstörerische Ausmaß des Zusammenstoßen zu begreifen. Es ist die schiere Panik, die du in den Augen des Mannes erkennst und die deinem schlechten Gewissen ordentlich Futter gibt. Dass du nun zusehen musst, wie er versucht, seinem Alter zu trotzen und die losen, wehenden Papiere zu verfolgen und aufzusammeln, machen die Sache nicht besser. Also entschließt du ihm zu helfen und so viel der losen Blätter zu erhaschen, wie es dir möglich ist.
Er scheint bei näherer Betrachtung doch nicht so alt zu sein, wie es seine grauen Haare und die ungelenken Bewegungen im ersten Moment erscheinen ließen. Er trägt einen gepflegten Bart, der etwas dunkler als sein Haupthaar wirkt und unter seinen buschigen Augenbrauen hinter einer Hornbrille, die dir wie ein Überbleibsel aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts erscheint, blitzen dich ein Paar gescheiter, aber undurchsichtiger Augen an. Ihre Iris ist so dunkel, dass sich die Pupille darin fast völlig verliert. Die Aura eines düsteren Geheimnisses überstrahlt die im Grunde unscheinbare Gestalt des Mannes. Ein Schauer wandert über deine Haut und du bist in gleicher Weise fasziniert und verängstigt.
„Verzeihung!“, stammelst du erneut. „Ich hoffe, Sie bekommen keine Probleme, durch meine Unachtsamkeit.“
„Ich weiß nicht.“ Die Stimme des Mannes klingt schwach und zerbrechlich. Er murmelt die Worte mehr zu sich selbst als an dich gerichtet. „Es steckt jahrelange Arbeit in diesen Werken und ich stand kurz vor dem Durchbruch.“ Dann geht ein Ruck durch seinen Körper. Er blickt dich an, als bemerkt er dich erst jetzt. „Nein, nein!“ Er winkt ab. „Es ist doch nicht Ihre Schuld. Ich sollte wirklich mehr darauf achten, wohin ich laufe. Nun muss ich aber weiter. Ich muss meine beiden Babys hier“, er deutet auf den zerfledderten Stapel, den die beiden Bücher nun bilden, „wieder in eine brauchbare Form bringen. Machen Sie sich keine Vorwürfe.“
Dir ist klar, dass das nur die halbe Wahrheit ist und dein schlechtes Gewissen verschwindet durch die netten Worte des Mannes nicht. Im Gegenteil: Du überlegst, ob Du dem Mann nicht deine Hilfe anbieten sollst, die Bücher wieder in Ordnung zu bringen.
Du hast keine weiteren Verpflichtungen heute und ein paar Karmapunkte kann dein Lebenskonto sehr gut gebrauchen. Außerdem tut dir der Alte leid. Auf der anderen Seite schreckt dich seine gruselige Ausstrahlung doch ein wenig ab. Und auch eine unbestimmte Zeit, freiwillig mit einem dir völlig fremden Menschen zu verbringen, ist nicht unbedingt das, was zu deinem gewohnten Handlungrepertoir gehört.
Wie entscheidest du dich? Ist die Aussicht auf Karmapunkte und ein ruhiges Gewissen, die Gesellschaft eines unheimlichen alten Mannes und seiner zerfledderten Bücher genug Motivation? (Klicke unten in der Auswahlleiste auf "Du willst wenigstens fragen".)
Oder gehst du lieber Heim und sinnierst noch ein wenig deinen Erlebnissen im Museum hinterher. Vielleicht mit einer netten Tasse Tee und einem Stück Kuchen?
(Weiter bei "Ein Lebensraum ohne Leben".)





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