Claudias Welt - Das Spiel 21, Teil 10(b): Nie sollst du mich befragen
- claudia_roman

- 4. Juni 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Aug. 2023
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Wenn du das Spiel noch nicht begonnen hast, lasse dich vom Button zum
des Spiels geleiten.
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Bilder von Bessi und Gerd Altmann auf Pixabay. Bearbeitet von Claudia Roman.
Du wagst es und richtest das Wort an Gilli: „Sag mal, wieso tut Braal so, als ob er ein Buch liest?“
Das Mädchen stöhnt auf und schüttelt den Kopf. „Sag mal, hast du was an den Augen? Er liest doch kein Buch!“
Braal vom Volke der La zieht düster die Augenbrauen zusammen: „Was sprichst du für dummes Zeug, Kleine?“.
Damit ist dir klar, dass auch er dich nicht hören kann. Die Zweige des Baumes zeichnen ein Muster auf sein Gesicht, das nun aussieht, als bestünde es aus einer Unzahl feiner Risse.
„Ich rede doch gerade mit dem Menschen!“, verteidigt sich Gilli und sogleich schaltet sich der Großvater dazwischen: „Das klingt nicht, als ob der Mensch etwas sagt, was in eine gemütliche Richtung zieht. Er sollte das Thema wechseln.“
„Warum?“, fragst du an Gilli gerichtet. „Ich will doch nur wissen, warum Braal einen Holzklotz auf seinem Schoß liegen hat und so tut, als sei es ein Buch. Das muss doch irgendetwas bedeuten.“
„Es bedeutet bestimmt etwas, aber vielleicht ist es keine gute Idee, das herauszufinden.“
„Das macht doch überhaupt keinen Sinn!“
„Nur weil du den Sinn nicht verstehst, ist er nicht automatisch nicht vorhanden.“
„Ich meine, es macht keinen Sinn, nicht nach einer verborgenen Bedeutung zu suchen, nur weil jemand sagt, dass es keine gute Idee ist, danach zu fragen.“
„Wir benutzen gerade ungeheuer viele Verneinungen, merkst du das?“ Gilli scheint begeistert.
„Aber das ist doch gar nicht das Thema!“
„Schon wieder!“
Braal vom Volke der La erhebt nun wieder das Wort: „Was sagt der Mensch denn?“
„Komisches Zeug! Ich glaube nicht, dass du das wissen willst.“
„Wer bist du, dass du mir zu sagen wagst, was ich wissen will und was nicht?“ Wieder klingt die Stimme des La gereizt.
„Na gut! Aber sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt! Der Mensch will wissen, was du da in dem Holzblock liest.“
Eine kurze Zeit passiert nichts. Der Wind streicht durch das Gras und geleitet sanft die Schäfchenwolken über den Himmel dem Horizont entgegen. Ihre Schatten wandern über die Hügel und brechen sich hin und wieder an den Bäumen, die vereinzelt ihr ausladendes Blätterwerk in die Höhe strecken. Das Rauschen der Blätter erfüllt die Luft, durch die ein unaufdringlicher Blütenduft zieht. Fast geräuschlos bewegen sich die Zweige des Baumes, unter dem dich der Mann mit seinen schwarzen Knopfaugen anstarrt. Dann hörst du ein Knirschen, das aus seinem Innern zu kommen scheint. Die Schatten der Zweige bewegen sich wie die Klauen einer vielgliedrigen Kreatur über sein Gesicht und dir kommt es vor, als bohren sie sich an ihren spitzen Endungen in seine Haut. Die Hoffnung, dass es sich um eine optische Täuschung handeln könnte, wird von dem Blut zerschlagen, das an diesen Stellen aus den Rissen sickert. Es läuft in feinen Rinnsalen seinem Hals entgegen und bildet auf seinem Kragen einen roten See.
Die Hand des Mannes, die auf dem Holzblock liegt, beginnt zu zittern und schlägt immer wieder auf die harte Unterlage. Sie erzeugt dabei ein Geräusch, dass dich an ein hartgekochtes Ei erinnert, das am Frühstückstisch aufgeklopft wird. Und auch hier durchzieht wenige Augenblicke später ein Geflecht zarter Sprünge die Oberfläche der Haut. Die Adern, die sich darunter entlangschlängeln beginnen zu wachsen, bis sie sich wie Blutegel von ihrer bleichen Umgebung abheben und über die zersprungene Struktur wandern, aufplatzen und einen Schwall schwarzer Fäden freigeben. Du kennst sie schon. Sie sind bereits bei der Weggabelung aus dem Telefonhörer gekrochen und in das Feld geflüchtet. Sie stürzen, zu dünnen Kordeln gedreht, auf den Holzscheit, schlängeln auseinander und lassen sich an seinem Rand zu Boden fallen.
Ein weiteres Knacken lenkt deinen Blick von den Fäden wieder zurück in das Gesicht des Mannes und du spürst, wie deine vor Entsetzen geweiteten Augen ein wenig mehr aus ihren Höhlen quellen. Die Gesichtszüge des La sind unter einer Maske aus Blut verborgen. Sein Mund ist weit geöffnet und an seinen Winkeln hat sich ein schwarzer Spalt gebildet. Du siehst, wie er langsam zu den Ohren aufreißt, sich öffnet und den Eindruck eines grotesken Grinsens hinterlässt. Er zieht weiter und verschwindet hinter dem Kopf. Ein Gurgeln dringt aus dem Hals des Mannes, tief und unheilschwanger und hat keine Ähnlichkeit mehr mit einem Wellensittich. Dann wird der obere Teil des Kopfes von einem Schwall schwarzen Fäden hochgerissen und zu Boden geschleudert. Wie ein Wasserfall strömt das Gespinst der Fäden über den Leib und zersetzen ihn vor deinen Augen, bis nur noch die blanken Knochen zu sehen sind.
„Der Mensch will wissen, was er in dem Holzblock liest!“ Du hörst das unterdrückte Kichern in Nihaars Stimme und spürst gleichzeitig einen unangenehmen Druck hinter deiner Schläfe.
„Der Mensch will wissen, was er in dem Holzblock liest!“, wiederholt der Großvater kichernd. „Als ob irgendetwas Interessantes in einem Holzblock stehen würde.“ Der Druck wird stärker und bevor dein Kopf schließlich explodiert, hörst du das Kichern der Scharluthe hinter dir und die genervte Stimme Gilis: „Ich hab doch gesagt, das es keine gute Idee ist, solch dumme Fragen zu stellen. Aber nein! Du willst ja nicht hören!“
Tja, somit bist du explodiert und tot und hast verloren.
Was wunderst du dich? Was hast du denn geglaubt, wo du dich befindest? Auf einem Ponyhof? Ich hoffe für dich, dass du das nächste Mal eine bessere Wahl triffst.
Zum Glück für dich ist das Ganze nur ein Spiel und es geht natürlich in die andere Richtung weiter.
Aber du musst nun ein- zwei Wochen auf die Fortsetzung warten.
Strafe muss sein!
Bilder von Bessi und Gerd Altmann auf Pixabay
Bearbeitet von Claudia Roman




Kommentare