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Wie das Unglück in die Welt kam (Teil 2) - Ein Sage aus der Dimension der alten Völker

  • Autorenbild: claudia_roman
    claudia_roman
  • 29. Okt. 2024
  • 6 Min. Lesezeit

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Konnte das geschehen?

Keinem König oder Edelmann,

sondern ihm, einem einfachen Hars?


Im Kaufmann keimte ein Verdacht und es war so unvorstellbar, dass sich alles in ihm sträubte.


Er erinnerte sich verschwommen an eine Erzählung aus Kindertagen.

Eine Sage, die von einem Kästchen berichtete, das alle tausend Jahre auf die Erde fiel.


Er kratzte sich am Kopf, genau an der Stelle, an der sich nun eine dicke Beule durch seine Haarpracht schob.

Darunter musste er lange überlegen, bis ihm die Handlung der Erzählung wieder in den Sinn kam.


Vor langer, langer langer Zeit lebte neben den Las, den Mes, den Sens, den Nis und den Hars ein weiteres Volk in der alten Welt, das sich die Waigs nannte.

Die Waigs waren garstig, listig, hinterhältig und verlogen, jedoch mit äußerster Niedlichkeit gesegnet. Sie fanden nicht nur gefallen an ihrer Bösartigkeit und quälten die Völker der Welt durch ihre grausamen Streiche, sie waren auch im großen Stile selbst bezogen und machtgetrieben. Sie strebten nach der Unterjochung der Welt und ihrer Bewohner, was ihnen durch den Zusammenhalt der anderen Völker jedoch nie gelang.

Eines Tages jedoch machten sie sich an die Arbeit, etwas zu erschaffen, das sie endgültig zu ihrem Ziel führen sollte.

Der Kaufmann erinnerte sich nun an die verschiedenen Spielarten der Geschichte. Manchmal bekamen die Waigs den Auftrag von einer wunderschönen Frau in einem weißen Gewand, in einer anderen Version gab ihnen eine schwarzgekleidete, gesichtslose Hexe, die einen Karren zog und ihr Erscheinen durch eine Glocke ankündigte, das spezielle Wissen. Andere berichteten von einem Gedanken, der in einem der Waigs selbst heranwuchs und auch Arkaste unterstellte man, die Idee zu dem Volke gebracht zu haben.

All diesen Erzählungen ist gemein, dass aus dem Holze aus den vier Wäldern des Schwaruup: dem blauen Wald des Ertrinkenden, dem grauen Wald des Erstickenden , dem roten Wald ohne Wiederkehr und dem schwarzen Wald des Schreckens, ein kleines Kästchen geschreinert und mit Eisenerz aus dem Schwarzen Gebirge beschlagen werden sollte.

Es könne, so wurde es den Waigs zugetragen, alles Böse in der Welt wie ein Magnet augenblicklich an sich binden. Die Waigs glaubten nun (oder es wurde ihnen gesagt), dass sie durch den Besitz des Kästchens gleichzeitig die Macht über seinen Inhalt erhielten. Mit so einer Waffe, erschien ihnen die Weltherrschaft sicher.

Für die Waigs war es kein großes Wagnis, aus den tödlichen Wäldern des Schwaruup die notwendigen Hölzer zu sammeln. Sie waren derart bösartig, dass sich sogar die grausamen Kräfte, die dort zu Hause waren, in banger Furcht zurückzogen. Und auch den schwierigen und gefahrvollen Weg durch das Schwarze Gebirge erfüllte die Waigs mit wenig Respekt.

So erschien ihnen diese Aufgabe nicht nur spielend leicht ausführbar, sie vermittelte ihnen sogar den Eindruck, sie allein hätten ein Anrecht auf das Kästchen und auf seinen schädlichen Inhalt. Und nur sie allein wären auserkoren, es für die Erfüllung ihres Begehrens zu nutzen.

So schreinerten und schmiedeten die Waigs das kostbare Stück und besiegelten damit gleichzeitig ihr Schicksal.

Kaum war das Werkstück gefertigt versammelten sich alle Waigs an einem geheimen Platz im Wald ohne Wiederkehr. Sie taten, was ihnen aufgetragen wurde, um die zerstörerischen Kräfte zu wecken (auch hier unterscheiden sich die Erzählweisen: in einer mussten jeder der Waigs einen Tropfen Blut in das Kästchen fallen lassen in einer anderen wussten sie über einen Zauberspruch und in wie hinzuken nachdem der einer anderen war es erneut die weiße Frau, die das Ritual ausführte) und das Kästchen begann, alles Böse aus der alten Welt aufzusaugen und noch ehe sie wussten, wie ihnen

Nachdem sich der Deckel über seinen düsteren aber niedlichen Inhalt verschlossen hatte, begannen sich ein Licht über den Wald auszubreiten. Die Bäume und Sträucher im Wald ohne Wiederkehr waren immer noch rot, doch ein sanfter Schimmer legte sich auf die Äste, Zweige und Blätter die sich ineinander verschlungen hatten, als ob sie sich untereinander Trost und Halt zu geben suchten und ein undurchdringliches Dach bildeten. Wie durch Zauberhand lösten sich die dichten Verzweigungen und ließen aus jedem Baum einen verwesenden Körper frei, der zu rotem Staub zerfiel, noch bevor er auf den Boden aufschlug. Die Seelen dieser Unglücklichen, die vor es vor langer Zeit wagten einen Schritt in den Wald ohne Wiederkehr zu setzen, erhoben sich und hinterließen ein kurzes Flackern in der Luft, bevor sie von der leichten Briese davongeweht wurden, die nun durch das Gehölz zog.

Die Luft wurde klarer, der Gesang der Vögel lieblicher und ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl das Aufatmen wahrgenommen, das vom Gewürm in der Erde bis hin zum mächtigsten Ross, vom kürzesten Grashalm bis hin zur höchsten Baumspitze, das also von allem, was zu Leben in der Lage war, durch die Welt zog.

Eine Leichtigkeit durchflutete die Welt und erfasste langsam, langsam auch die alten Völker. Sie waren durch ihren langen Leidensweg, den sie durch die Waigs erfahren mussten, äußerst misstrauisch geworden und so dauerte es lange, bis sich der Mutigste von ihnen schließlich traute, die gewohnten und gesicherten Pfade zu verlassen und den Wald ohne Widerkehr zu betreten.

In einer anderen Auslegung der Geschichte wurde ihm durch einen seiner Vorfahren, der einst im roten Wald sein Leben verlor, der Auftrag erteilt, dort nach dem Kästchen der Waigs zu suchen.

Wie dem auch sei, das Kästchen wurde gefunden und der Finder brachte es zu seiner Herrscherin, die es in Sicherheit aufheben wollte, ohne jedoch sein Geheimnis zu kennen.


Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen wurden Monate, aus Monate wurden Jahre und die Welt erholte sich von dem Bösen, das die Waigs in die Welt gebracht hatten. Die Wiesen wurden Grüner, die Luft klarer und die Böden fruchtbarer. Und obwohl den einen oder die andere hin und wieder ein Schicksalsschlag ereilte und die eine oder andere Sorge plagte, war das Leben leichter in dieser Zeit. Ein neues Zeitalter war angebrochen und neue Geschichten wurden erzählt, neue Lieder gesungen und neue Rätsel gelöst.

So verging Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt und als die ersten hundert Jahre verstrichen, erinnerte sich kaum noch jemand an die Plagen der Vergangenheit.

Auch die Jahrhunderte zogen durchs Land. Könige und Königinnen kamen und gingen. Die Welt veränderte sich weiter und nur das Kästchen blieb weiterhin in der Obhut der Nachfahren der Königin, die es einst an sich nahm.

Und als dann schließlich nach neunhundert Jahren alle neuen Geschichten erzählt, alle neuen Lieder gesungen und alle neuen Rätsel gelöst waren, legte sich eine bleierne Langeweile über das Land. Die Wiesen waren immer noch grün, die Luft klar und die Böden fruchtbar, doch eine innere Öde befiel die Völker der alten Welt.

Und als die Zeit der Langeweile, wie die Geschichtsbüchern diese Epoche nun zu nennen pflegen, in ihr hundertstes Jahr kam, also, nachdem die Waigs bereits tausend Jahre aus der alten Welt verschwanden und längst vergessen waren, da fand eine Bedienstete des Königs ein kleines halbverbranntes Holzkästchen in einer Abstellkammer des Schlosses. Ohne auch nur zu erahnen, worum es sich bei diesem unansehnlichen Stück handelte, beschloss sie es zunächst in den königlichen Mülleimer zu werfen, wurde aber dann doch von einer unwiderstehlichen Neugier gepackt. Zu ihrer Enttäuschung ließ sich das Kästchen nicht öffnen, denn die verbogenen Scharniere hielten es fest verschlossen.

Sie entschloss sich daraufhin ihr Fundstück zu dem weisesten Mann des Reiches zu bringen, um ihn zu bitten es zu öffnen.

In einer weiteren Version der Erzählung, war es der weise Mann selbst, der das Kästchen fand, in einer anderen war es ein Handwerker, der Renovierungsarbeiten am königlichen Wohnsitz durchführte und in wieder einer anderen, wurde das Kästchen aus seinem Versteck von einem dunklen Vogel mit gedrehtem Schnabel entwendet, der es vor dem Haus des Weisen Mannes abwarf.

In allen Formen der Geschichte gelangte das Kästchen jedoch in den Besitz des weisesten Mannes des Reiches*, der das Kästchen und sein Geheimnis für eine willkommene Abwechslung und eine Rettung aus der bleiernen Langeweile hielt. In einigen Versionen war der Alte gerade dabei den einzelnen Blütenblätter eines Doldengewächses Namen zu geben, in anderen versuchte er eine Maschine zu entwickeln, die eine juckende Stelle an seinem Rücken augenblicklich erkannte und Abhilfe verschaffte und in wieder anderen würfelte er mit einem achzehneckigen Würfel Zahlen, die er abwechselnd addierte und subtrahierte.

Nun verbrachte er mit zunehmender Begeisterung die Tage und Nächte in seiner Bibliothek und wälzte alte Bücher, die ihm das Geheimnis des Kästchens verraten sollte.

Nach langer Zeit geduldigem Suchens, stieß er endlich auf die Geschichte der Waigs und kam zu dem Schluss, dass es sicherer wäre, seinen Schatz in das schwarze Gebirge zu bringen, um es zu vernichten.

Eine andere Erzählung weiß von einer Vision, die ihn im Traum ereilte und manchmal war es auch Arkastas Ruf, der ihn auf den Weg ins schwarze Gebirge brachte.

Sicher sind sich alle Überlieferungen, dass er die Bedenken seiner Frau ignorierte, sich auf den Weg machte und für alle Zeiten verschwand.

Die Zeit, die nun durch die Reiche der alten Völker strich, erstreckte sich auf wenige Jahre und ging als die Graue Epoche in die Geschichtsbücher ein. Eine Zeit, in der sich zwar nicht das hinterhältig Böse in die Welt schlich, sich aber eine eigenartige Anspannung und Gereiztheit ausbreitete.



*Es war auch jedes Mal ein weiser Mann und keine weise Frau, was für den Verlauf der Geschichte von elementarer Bedeutung ist - die Autorin





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