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Wie das Unglück in die Welt kam (Teil 1) - Ein Sage aus der Dimension der alten Völker

  • Autorenbild: claudia_roman
    claudia_roman
  • 2. Juni 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 2. Aug. 2023


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Lange,

sehr lange,

sehr, sehr lange


nachdem die niedlichen

aber bösartigen Waigs aus

der Welt verschwanden und endlich

Frieden zwischen den Völkern der Hars, der

Nis, der Mes, der Las und der Sens herrschte,


lange nachdem auch das Geheimnis des Kästchens, das

richtige Wort und auch die Waigs selbst in Vergessenheit gerieten


und lange nachdem sich die grausame Arkasta in die Schwarzen Berge zurückzog,

alle tausend Jahre erwachte, um durch ein Menschenopfer wieder besänftigt zu werden,


also lange nach der Zeit, die von den Vorfahren der alten Völker "die Schwarze Epoche" und dann in Vergessenheit gerieten,


da ritt ein Kaufmann am Waldrand den Weg über die Hügel am Graben entlang seinem heimatlichen Dorf entgegen.


Er hatte sein Glück im Königreich der Mes gesucht, war froher Dinge und trällerte eine hübsche Weise, während sein Geldbeutel im Takt des trabenden Pferdes vor sich hin klimperte.

Es ist nicht unwichtig zu betonen, dass die Weise im Grunde zwar hübsch, die Interpretation des Reisenden aber von so ungeheuerlicher Furchtbarkeit war, dass nicht nur die Vögelchen in den Bäumen kreischend die Flucht ergriffen, das Wild, sich panisch ins Unterholz zurückzog, die Regenwürmer Schutz unter der Erde suchten, sondern selbst die Blumen ihre prächtigen Häupter vom Weg abwandten, sobald der erste Ton des Barden sie berührte. Der Kaufmann war vom Volke der Hars, eben dem Volk, das sich durch eine hartnäckige Talentlosigkeit in allen künstlerischen Bereichen auszeichnete. Was sie zum Leidwesen der anderen Völker nicht hinderte, es ständig, gerne und ausgiebig unter Beweis zu stellen.

Doch auch in anderen Bereichen des schöpferischen Lebens taten sich die Hars nicht unbedingt durch ein herausragendes Geschick hervor. Sie waren keine guten Landwirte oder Gärtner, ihre Architektur ließe sich mit dem Wort unspektakulär wunderbar beschreiben und auch in der Diplomatie oder der Kaufmannskunst überzeugten sie niemanden.


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Dass sich unser Kaufmann nun an einem für seinen Geschmack hervorragenden Gewinn erfreuen durfte, lag demnach nicht an seinem Geschäftssinn, als vielmehr an der Begabung der Mes.

Die Mes sind ein erstaunliches Volk, das nicht nur mit einer überragenden Empfindsamkeit ausgestattet ist, sondern sogar die Fähigkeit besitzt, mit Gegenständen zu sprechen.

Die Frau, die er den ganzen Schmuck, den er zum Verkauf anbot und die auch einen großen Teil der einfachen aber hübsch gewebten Stoffe erstand, war nicht durch das Angebot des Händlers gelockt und auch nicht durch sein Verhandlungsgeschick beeindruckt worden. Sie hatte die Dinge aus purem Mitleid erworben. Diese Dinge nämlich beklagten sich lauthals über ihre Behandlung im Reich der Hars und dachten mit Schaudern an ihre Rückreise, die, so war ihre Befürchtung, der Reisende wieder singend anzutreten drohte.

Doch davon wusste der Kaufmann nichts, denn auch die Feinheiten des menschlichen Zusammenlebens, die Zwischentöne im Gerede und auch die Bedeutsamkeit, die sich in den Gesten der Mitmenschen verbargen, erschlossen sich einem Hars, erst nach tagelangem Nachgrübeln, wenn überhaupt.


So trällerte unser Kaufmann sein Lied auf dem Rücken seines Pferdes, das mit gesenktem Kopf die Tortur über sich ergehen ließ, sah weder nach links noch nach rechts und bemerkte nicht einmal, dass sich der Weg der blauen Brücke näherte.

Dazu muss gesagt werden, dass sich die Sicht auf die Welt für einen Hars eh schwierig gestaltet, was seiner üppigen Haarpracht geschuldet ist, die sich jeder Angehörige dieses Volkes tief ins Gesicht wachsen lässt. Bei einigen von ihnen war es nicht einmal zu erkennen, wo sich das Gesicht und wo sich der Hinterkopf befand. Es gab nicht viele Theorien, die eben dieser Haarmode die Schuld an der Talentlosigkeit dieses Volkes gab.

Die blaue Brücke trennte zu dieser Stunde das Reich der Mes vom Reich der Sen.


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Zu dieser Stunde!

Das ist zu betonen!

Es war nämlich nicht ausgeschlossen, dass die selbe Brücke zu einer anderen Zeit die Grenze zum Reich der La markierte. Die Gesetze dahinter sind vielschichtig und verwirrend und sollen uns augenblicklich nicht bekümmern.

Von äußerster Wichtigkeit ist jedoch, dass gerade in dem Augenblick, als das Pferd das letzte seiner Hinterbeine auf das blaue Gebälk niederließ, das Reich der Mes somit verlassen, das Reich der Sen aber noch nicht betreten war, ein kleiner Gegenstand den Kaufmann äußerst schmerzhaft am Kopf traf.

Die Erlösung der Welt vom Gesang des Mannes dauerte nur wenige Momente, denn noch bevor sich Flora und Fauna an der Stille erfreuen konnten, legte sich ein bedrohliches Knistern über die Welt und ein übler Luftzug wehte vom Schwarzen Gebirge zur blauen Brücke herüber.

Doch war der Kaufmann von dem plötzlichen und völlig unerwarteten Schmerz derart überrascht, dass ihm außer einer Reihe harmloser Schimpfworte nichts anderes in den Sinn kam.

"Dreimal verhurzelter Knöllenwürg!", entfuhr es ihm. Ein Fluch, der auch im Reich der alten Völker, in der äußerst selten und gesittet geflucht wurde, eine eher harmlose Variante des viel anrüchigeren "verhurzelter, stinkender Knöllenwürg" darstellte. Aber du ahnst es schon: Auch auf dem Gebiet verbaler Aggression war ein Hars nicht mit Begabung gesegnet.

Unser Kaufmann war allerdings so erbost über den Angriff des Gegenstandes, dass er es beim Schimpfen nicht belassen konnte. So zog er die Zügel und glitt aus dem Sattel, um das, was ihm auf den Kopf gefallen war, mit einem kräftigen Schritt in den Graben zu befördern.


Der Gegenstand, der Hars konnte ihn durch seine Haarpracht schemenhaft erkennen, lag nahe am Rand des Steges. Es war ein kleines Kästchen, das sich im Schatten des Brückengeländers kaum von seiner Umgebung abhob. Erst als sich der Mann ein wenig darauf zubewegte, erkannte er, dass es aus rußgeschwärztem Holz bestand und hätte nicht das zum Teil geschmolzene Metall der Beschlagung durch seine verbrannte Umgebung geschimmert, hätte er es für ein Stück Kohle halten können.

Ohne einen weiteren Gedanken darüber zu verlieren und immer noch von einem gerechten Zorn ergriffen, schritt er dem Kästchen entgegen, um es mit einem gekonnten Tritt über den Rand der Brücke zu befördern.

Doch was wäre der Kaufman für ein Hars gewesen, wenn ihm dies gelänge?

Das Schächtelchen hatte nicht die Absicht, von einem dahergelaufenen Halunken ins Wasser gestoßen zu werden.

Es hatte einen anderen Auftrag.

Eine wichtigen Auftrag.

Einen Auftrag, der die bekannte Welt, versinken lassen sollte und auch musste.

Es musste geschehen, denn das war das Elend der alten Welt: Nicht nur die Welt war alt, sondern auch waren alle Lieder gesungen und alle Geschichten erzählt, alle Fragen gestellt und alle Antworten gegeben. Nun bald war es Zeit für neue Lieder und Geschichten, und es war Zeit für neue unbeantwortete Fragen.

Diese Kunde ins Land zu tragen, das war der Auftrag des Kästchens.


Und so sehr sich der Kaufmann auch anstellte, das Kästchen blieb an seiner Schuhspitze haften. So sehr er auch mit seinen Fuß schlackerte, sein Bein verrenkte und das Kästchen gegen die Streben des Geländers schlug, es gelang ihm nicht es abzuschütteln. Es hatte sich in ihm festgebissen, wie ein kleiner, nerviger Hund.


Getrieben von verzweifelter Wut, wusste sich der Kaufmann nicht anders zu helfen, als seinen Fuß soweit anzuheben, dass er den Schuh umfassen und den Fremdkörper davon abziehen konnte. Es gelang ihm tatsächlich nach einer Reihe seltsamer Verrenkungen, laut fluchend und auf einem Bein hüpfend, unter dem Geklimper seines Geldbeutels den Kasten zu ergreifen, verlor jedoch das Gleichgewicht und stürzte mit lautem Schrei auf seinen Hosenboden.

Die Unruhe der letzten Minuten hatte das Pferd bereits um seine Geduld gebracht. Es tänzelte nervös auf der Brücke herum und als der Kaufmann dann endlich mit einem Gemisch aus Schmerz und Erleichterung auf den Boden aufkam, hielt nichts mehr das Tier bei seinem Herren und der Kaufmann sah sein Proviant und seine Ware über die Wiese ins Reich der Sen verschwinden.

Doch noch ehe er seinen Verlust in einem traurigen Lied zu verarbeiten suchte, fiel sein Blick auf das schwarze Kästchen, dass nun in seinen Händen lag.

Tatsächlich war es stark verbrannt und die einst kunstvoll geschmiedeten Scharniere und Verzierungen auf seiner Oberfläche durch eine große Hitze so verbogen, dass es nur durch Gewaltanwendung zu öffnen zu sein schien. Es war so klein, dass es sich bequem mit der Kette, die an seinem Holz angebracht war, an die Gürtelschnalle befestigen ließ.


Im Kaufmann keimte ein Verdacht und es war so unvorstellbar,

dass sich alles in ihm sträubte, wenn er daran dachte.

Er erinnerte sich an eine Erzählung aus Kindertagen.

Eine Sage, die von einem Kästchen berichtete,

das alle tausend Jahre auf die Erde fiel.

Doch konnte ihm das passieren?

Einem einfachen Kaufmann?

Konnte das passieren?

In der Wirklichkeit ?

Konnte das sein?






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