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Der Anfang und das Ende - Eine Reise durch die Kugelwelt

  • Autorenbild: claudia_roman
    claudia_roman
  • 1. Jan. 2020
  • 11 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Mai 2024




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Kapitel 1 oder 12

"Im Anfang und am Ende lauert die Finsternis"


B05/47

Der Erkundungsroboter B05/47 wusste, dass etwas mit dieser These nicht stimmte. Das Problem bestand darin, dass weder am Ende und erst recht nicht im Anfang die Dinge irgendwelche Namen besaßen.

Nun aber gab es das Wort Finsternis in seinem System und er wusste auch, was es beschrieb. Es bildeten sich aus dieser Vorstellungen andere Wörter, die ähnliche Dinge umschrieben und setzten eine Kette von Begriffen und Bedeutungen in Gang, die nur einen Schluss zuließen: Er war weder vor der Startlinie, noch hinter dem Ziel. Er befand sich unleugbar innerhalb seiner Existenz.

Doch es nützte ihm nichts.

Auch wenn ihm klar war, dass er noch lebte (Sofern "leben" das richtige Wort für sein Dasein darstellte): Um ihn herum herrschte Dunkelheit.

Eine Untersuchung seines Allgemeinzustandes ergab, dass er trotz einiger Blessuren und den defekten Scheinwerfern relativ intakt war. Die Kupferspiralen seiner Flugrelais mussten ausgetauscht werden, aber in dieser hohen Luftfeuchte, war an Fliegen eh nicht zu denken. Seine Greifarme funktionierten ohne Schwierigkeiten und die Sensoren an seinen Fingern taten das, was sie sollten. Allerdings konnte B05/47 mit den empfangenen Daten absolut nichts anfangen. Sie zeichneten das Bild eines organischen Untergrunds und verrieten eine ungewöhnliche Konzentration eines salzsäurehaltigen Schleims um ihn herum.


Wo bei allen Göttern war er? Was war mit ihm passiert?

Er fand keine Erinnerungen in seinen Schaltkreisen, doch ein kurzer Blick in die Standardeinstellung ließ ihn auf seine Gebrauchsanweisung zugreifen. Von dort speiste er die empfangenen Daten in die entsprechenden Pfade. Es dauerte quälende 0,04 Sekunden, bevor sein System die richtigen Schlüsse zog. Das Rotlicht, das im Normalfall den Alarm begleitete, funktionierte nicht, aber dafür schrillte das Signal durch die Finsternis.

Wenn er nicht bald von diesem Ort fortkam, war das ohne jeden Zweifel sein Ende. Dunkel oder nicht, die Feuchtigkeit der Umgebung würde in kurzer Zeit dafür sorgen, dass seine Systeme versagten.

Und zwar endgültig.

Das Ende war näher als gedacht.


Die Leserin

Auch die Leserin war der Ernst der Situation bewusst. Sie brauchte einen kurzen Moment, um die Überraschung zu überwinden, den das Auftauchen des Ungeheuers verursachte. Sie lockerte ihre Hand, die sich reflexartig an das Brückengeländer gekrallt hatte. Wäre sie am Anfang ihrer Reise gewesen, hätte sie der Anblick dieses Wesens in eine Schockstarre verfallen lassen. Sie hätte ohne einen Finger rühren zu können, in eine der Münder geglotzt, die das Haupt der Kreatur überzogen.

Und nicht nur das Haupt war mit den stinkenden Öffnungen übersät. Es wirkte, als bestünde der gesamte Körper aus unzähligen Erhebungen, die zeitweilig aufrissen und Zahnreihen freilegten, die tief in sein Inneres reichten. Es hatte sich zu seiner ganzen Größe aufgebaut und die Leserin legte den Kopf in den Nacken. Sie versuchte die Bewegungen des wurmhaften Halses abzuschätzen und wusste, dass das Ungetüm in den nächsten Sekunden auf sie zustürzten sollte, um sie in eine der Öffnungen hinabzuziehen. Aus dem Schlangenhals des Wesens quakte das Alarmsystem von B05.

Ein gutes Zeichen. Ihr Freund war intakt.

Natürlich war er das, denn eines war unbestreitbar: Das Ende ihrer Geschichte bedeutete den Anfang der Reise des Erkundungsroboters. Sie wusste, wenn es für B05 kein Morgen gab, konnte sein Gestern nicht existieren. Und deshalb griff sie zügig, aber mit aller gebotenen Ruhe das Stahlrohr, das vor ihren Füßen lag. Sie prüfte sorgfältig die Nägel, die am oberen Teil angeschweißt waren und beobachtete aus den Augenwinkel das Zögern des Untieres. Der Gestank, der von ihm ausging verstärkte sich mit jedem Zentimeter, den sich sein Leib dem Boden näherte. Schon schaute die Leserin in eine der Erhebungen, die vor ihren Augen mit einem Schmatzen aufriss und eine schleimige-rötliche Flüssigkeit auf sie herniedertropfen ließ. Sie ignorierte das Brennen, das der Schleim auf der Haut verursachte. Nur das Heulen, das an einer anderen Stelle am Hals wahrzunehmen war, fesselte ihre Aufmerksamkeit. Dort kämpfte ihr elektronischer Freund in diesem Augenblick um seine Existenz.

Der üble Geruch war fast unerträglich und die Leserin drehte sich. Sie hielt die Stange wie einen Baseballschläger über ihre Schulter, holte weit aus und peilte einen Punkt knapp unterhalb der Stelle an, durch die das Alarmsignal drang. Die Wucht, mit der ihre Waffe das Fleisch aufriss, ließ einen Schwall Schleim und Gewebefetzen über sie herniederregnen. Und wieder wusste sie, was zu tun war, um nicht bei lebendigem Leibe von der Säure zerfressen zu werden: Sie ließ sich nach hinten fallen, dort, wo das Brückengeländer fehlte. Und sie hoffte, dass das Wasser eine ausreichende Tiefe besaß. Über ihr bäumte sich ein letztes Mal das Ungeheuer zur vollen Größe auf. Der Chor der Klagelaute, der durch seine Öffnungen schrie, erzeugte ein Pfeifen in den Ohren der Leserin. Es fiel mit schlingernden Bewegungen zurück in die Untiefe, aus der es entstiegen war. Im Fallen wurde ihr klar, dass sie keine Ahnung hatte, wie ihre Geschichte endete. Nur eines war sicher, dieses war ihr letzter Tag.




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B05/47

Die Welt um B05/47 explodierte. Seine Sensoren nahmen einen spontanen Anstieg des Sauerstoffgehaltes und einen ebenso spontanen Abfall der Luftfeuchte wahr. Die Scheinwerfer funktionierten immer noch nicht, aber es war ihm möglich Lichtwellen aufzufangen und zu verarbeiten. Er konnte wieder sehen.

Die Umgebung wirkte zwar verschwommen durch die Salzsäureschicht, die ihn weiterhin umschloss, aber wenn er seine Einstellung manipulierte, ließ sich die Erkennbarkeit der optischen Eindrücke verbessern. Er bemerkte ein Schaukeln, als er auf den Boden aufschlug. Den Berechnungen zufolge war das seiner Kugelform geschuldet. Er hatte zum Schutz die Greifarme eingefahren und so hinderte ihn nur die Schleimpfütze, in der er lag, über den Steg ins Wasser zu rollten. Ein Bad in dem schlammig-braunen Nass war vorteilhaft, um ihn von der zersetzenden Säure zu erlösen, aber es brächte andere Probleme mit sich. Kurzschlüsse zum Beispiel oder Beschädigungen der Festplatte, die ihn hinderten, auf seine Standardeinstellung zurückzugreifen. Er schaute über das Wasser hinweg zum Ufer. Es war übersät mit verschiedenen Materialien unterschiedlichster Form. Er ließ einige dieser Objekte mit seiner Datenbank abgleichen, blieb dabei aber erfolglos. Trotzdem bestätigten ihm alle Suchvorgänge und Analysen, dass sich nichts Außergewöhnliches in der Umgebung finden ließ.

Das änderte sich, als jenseits der Brücke, ungefähr 107,4532 Meter entfernt, eine organische Verbindung aus dem See kroch. B05/47 bemerkte erstaunt, wie sich die Gestalt umdrehte und ihm zuwinkte.


Die Leserin

Die Leserin hatte Glück in vielerlei Hinsicht. Der See war tief genug gewesen, um sie sicher aufzufangen. Darüber hinaus war sie wenige Meter von dem Steg entfernt, auf dem ihr Freund aus dem Schlund des Ungeheuers gefallen war. Sie winkte ihm zu und stellte erleichtert fest, dass auch der Erkundungsroboter eines der fünf Greifärmchen anhob. Die Scheinwerfer waren zerbrochen, aber sie hatten den Hauptteil der Reise eh nicht funktioniert. Wichtiger war das Flackern der Kontrolllampe, die an dem schwarzen Reifen angebracht war, der die Kugel optisch in zwei Hälften zergliederte. Im Idealfall leuchtete das Lämpchen durchgängig grün, aber in Angesicht der Situation, war der Leserin schon mit dem roten Flackern zufrieden. B05 ging es demnach den Umständen entsprechend gut. Es galt jetzt, ihn aus der ätzenden Flüssigkeit herauszuholen. Die Säure, mit denen ihn das Untier verletzt hatte, fühlte sie weiterhin auf ihrer Haut und sie hatte kein Verlangen den Roboter mit bloßen Händen aus der Brühe zu fischen. Doch auch in diesem Fall kam ihr das Glück entgegen. Wenige Schritte über ihr ragte eine Drahtschraube aus einem Betonklotz und der Handschuh, der daran hing, war nicht zu übersehen. Weder die Schuppenformen auf der Oberfläche, noch das, wofür er stand, ließen sich aus seiner Erinnerung verbannen. Die Zeit auf der Summkrautplantage war ihr noch sehr präsent. Sie entsann sich, dass diese Handschuhe mehrere Vorzüge hatten und einer bestand in ihrer Säureresistenz.

Kaum hatte die Leserin den Handschuh von der Drahtschraube entfernt, erfasste ihr Blick einen weiteren nützlichen Gegenstand: Das Laken, das nur wenige Zentimeter daneben lag, war nicht mehr als ein Lumpen und hatte die Farbe des Untergrundes angenommen. Wäre sie nicht auf der Suche nach brauchbaren Gegenständen gewesen, hätte sie es übersehen. Und das, obwohl es von einem Licht beschienen wurde, das gebündelt aus einiger Entfernung darauf fiel. Erst glaubte die Leserin, diese Lichtreflexionen seien nur Einbildung, doch als sie das Tuch aufhob, fühlte sie sich einen Moment geblendet. Sie schaute in die Richtung, in der sie die Quelle der Irritation vermutete. Ihr Blick wanderte zur Spitze des Schrottberges und ihr Ausdruck erhellte sich. Aber schon im nächsten Augenblick entglitt er in eine wehmütige Tiefe. Sie nahm die Utensilien und stieg den Berg hinab, um ihrem Freund zu Hilfe zu eilen.


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B05/47

Der feuchte Lappen glitt um den Körper des Erkundungsroboters. Die Gestalt, die B05/47 beim besten Willen nicht einzuordnen vermochte, trug einen Handschuh, der bei der Summkrauternte zum Einsatz kam. Hatte er es etwa mit einem entlaufenen Dissidenten zu tun? Einem Strafgefangenen aus einer der Kugelstädte, die verurteilt waren, sich in den elektrischen Feldern in Lebensgefahr zu bringen, um das seltene Kraut einzufahren? Aber wieso hatte dieser Mensch ihn dann gerettet?

„So“, sagte die Person, die eindeutig humanoid war und warf den Lappen zur Seite, „fast wie neu! Jetzt fehlt noch ein neues Flugrelais und dann geht es weiter. Ich hab nämlich keine Lust, dich die ganze Zeit zu tragen.“

„Sie sind ein Mensch!“, stellte der Roboter fest.

Der Mensch lachte und B05/47 konnte sich den Grund dafür nicht erklären. Es war nicht als witzige Anmerkung gemeint, sondern eine Feststellung gewesen. Die Antwort, die der Mensch darauf gab, diente der Klärung der Situation nicht im Geringsten. „Seid wann siezt du mich denn?“ Dann veränderte sich der Gesichtsausdruck der Person. Was das zu bedeuten hatte, war für den Roboter nicht zu erschließen. „Ach, wir haben wieder einen X-Turn überquert.“

„Ich verstehe nicht.“ Die Maschine beobachtete den Menschen, der in seinen Taschen nach etwas grub.

„Ich weiß, aber du wirst es später in deinen Systemen finden und es mir dann erklären.“

Der Mensch hielt etwas in der Hand, was aussah wie eine Kupferspule. „Ach, siehst du B05, wir haben genau eine übrig. Dafür, dass du üblicherweise nur jedes Jahr eine verschleißt, sind fünf von diesen Dingern in zwölf Tagen schon ne echte Leistung.“

„Alles was Sie sagen macht keinen Sinn.“ B05/47 erwartete wieder einen unergründbaren Heiterkeitsausbruch, die diesmal ausblieb..

„Wir waren jetzt die ganzen letzten Tage beim Du und ich möchte das nicht ändern.“

Es fiel dem Roboter schwer, aber er versuchte die komplette Irrationalität der Worte, ja der gesamten Situation auszublenden. „Na gut, dann halt du. Aber ich weiß, dass für Ihre... für deine Spezies eine Geschlechteridentität von Bedeutung ist. Allerdings ist eine Geschlechtszugehörigkeit für mich nicht relevant und deshalb auch nicht erkennbar. Wie möchtest du in der dritten Person angeredet werden?“

„Och, das ist mir gleich. Ich werde in der Geschichte immer die Leserin genannt.“

Mit wenigen geübten Handgriffen hatte die Leserin das entsprechende Fach abgenommen und die Spule ausgetauscht.

„Somit bist du weiblich.“

„Es ist völlig ohne Belang, was ich bin.“

„Seltsam! Aber ich werde es akzeptieren. Wie ist dein Name?“

„Du hast mich die letzten Tage immer ‚Hey-du!‘ gerufen.“

Der Roboter wurde aus dieser Person nicht schlau und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich an die Fakten zu halten. „Ich begrüße, dass du mich gerettet hast. Es ergibt zwar keinen Sinn, aber trotzdem vielen Dank.“

„Es macht sogar großen Sinn. Du hast mir mehrfach das Leben gerettet. Kannst du fliegen?“ B05 setzte seine Drüsen in Bewegung, erhob sich ein Stück und fiel unsanft zu Boden zurück. „Das war doch schon mal ein Anfang“, hörte er Hey-du sagen. „Ich weiß, dass du dich nicht erinnerst, aber spätestens morgen wirst du erkennen, wovon ich spreche.“ Er hielt inne. „Hörst du das?“ Es war ein Ton, der von überall her zu kommen schien. Sein Frequenzbereich und seine Lautstärke ließen das Wasser erzittern. B05 suchte in seinen Eingeweiden nach Erklärungen. „Das ist Arkastas Ruf“, dozierte er. „Sie beendet oder läutet eine dunkle Periode ein, in der sich elektrische Felder und Untiefen bilden. Es bedeutet auch für die Kinder, sich in ihre Städte zurückzuziehen, denn es ist ebenso die Zeit, in der die Monster unterwegs sind.“

Die Maschine erhob sich erneut. Diesmal hielt sie sich in der Luft. Sie wankte zwar, aber es fühlte sich mit jeder Sekunde sicherer an. „Auch verändern sich manche von den Gegenständen, was ihren langfristigen Gebrauch schwierig macht, denn...“

„Das weiß ich doch schon alles.“ Hey-du winkte ihn zu sich. „Und jetzt komm!“

„Wohin wollen wir?“

„Auf den Hügel! Siehst du dort oben die Tür?“


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B05/47 sah sie genau. Es war eine der Türen, die in eine andere Welt führten. Er brauchte nicht einmal in seiner Datenbank nachzusehen, um das zu wissen. Er erkannte es an ihrer Unversehrtheit und an dem Licht, das durch den Türspalt und dem Schlüsselloch fiel.

„Ich sehe sie.“

„Sie führt in meine Welt zurück. Es ist der letzte Tag meiner Reise.“

Die Maschine spürte einen Widerstand tief in ihren Eingeweiden. Er war tief in ihrem Selbst verankert. Wäre sie ein Mensch gewesen, hätte man von einer genetischen Programmierung gesprochen.

„Das kann ich nicht zulassen!“

„Ich weiß, es ist traurig. Aber glaube mir, für mich ist es ungleich schwerer. Du hast unsere gemeinsame Zeit noch vor dir.“

„Ich weiß nicht, wovon du redest, aber du wirst nicht durch diese Tür gehen.“ Er hob einen seiner Greifarme. In seiner Datenbank war zu finden, dass ihm kein schweres Kampfgeräte zur Verfügung stand, aber durchaus Waffen zur Jagd und Verteidigung. Er stellte das Waffensystem auf maximale Leistung und richtete es auf den Menschen. Wieder ließ sich der Ausdruck im Gesicht seines Gegenübers nicht deuten, aber wenigstens lachte es nicht.

„Bei allen ... was soll das?“, flüsterte der Mensch.

„Wir werden uns von diesem Ort entfernen und die nächste Stadt aufsuchen.“

„Was? Wieso?“

„Ich werde keinen Dissidenten entkommen lassen!“

„Dissident? Was redest du? Ich bin doch kein Dissident!“

„Dann weise dich aus!“

„Sei nicht albern!“

„Albernheit ist als Verhaltensmuster, in dieser Situation unangebracht...hey!“


Der Mensch hatte den Lumpen aufgehoben und über den fliegenden Roboter geworfen. Es dauerte 47,002 Sekunden, bis er sich von dem Laken befreit hatte. Eine inakzeptable Zeit. Er stabilisierte seinen Flug und suchte die Umgebung nach dem flüchtigen Dissidenten ab.

Weiterhin plagte ihn ein Zweifel. Die Worte des Menschen und sein Handeln, war nicht kompatibel mit dem, was ein Strafgefangener sagte oder tat. Aber eine andere Lösung wurde ihm nicht angeboten und alles andere hätte Zeit beansprucht, die nicht zur Verfügung stand. Er sah den Menschen den Hügel erklimmen, dort wo auf seinem Gipfel das Licht durch die verschlossene Tür schien. Einen Dissidenten entkommen zu lassen, war selbst für einen Erkundungsroboter ein größeres Vergehen, als einen Unschuldigen zu töten. Er setzte sich in Bewegung.

Der Arm, der seine Waffe enthielt, suchte sein Ziel, ohne dass er sich darum bemühte. Ein Fadenkreuz erschien auf seinem Visor, der sich automatisch mit der Blickrichtung justierte. Er war schneller als die Hey-du-Person, die sich den Berg hinauf quälte. Er überflog die Hindernisse, denen sie ausweichen oder die sie überklettern musste. Doch sie hatte ihr Ziel schon fast erreicht.

„Hey du! Stehenbleiben!“

Der Mensch blieb vor der Tür stehen, drehte sich um und schaute ihm direkt in seine Kamera.

„Jetzt verstehe ich!“, sagte er.

„Ich verstehe hier gar nichts“, gab B05 zu. „Allerdings weiß ich, dass ich dich in die Stadt bringen muss. Das sagt mir die Auswertung der Daten, die ich von dir erhalten habe.“

„Du hast mir vor ein paar Tagen gesagt, ich soll dir eine Frage stellen. Ich habe es vergessen, aber jetzt fällt es mir wieder ein.“

„Wir haben keine Zeit für Fragespiele!“, schnarrte es aus dem Lautsprecher.

„Ich soll dich Fragen, was ein X-Turn ist.“

„Was ist ein X-Turn?“

„He, jetzt drehe das Spiel nicht um! Die Antwort liegt in deiner Datenbank, du musst sie nur suchen.“

Einen Augenblick hielt der Erkundungsroboter inne. Nur einen Moment und wäre er fast auf den ältesten Trick der Geschichte der Kugelwelt hereingefallen. Er sah, wie der Mensch seine Hand auf die Klinke legte. B05/47 war keine Killermaschine. Er war ein Erkundungsroboter mit einer Standardprogrammierung. Er trug Beschädigungen, die er sich vermutlich im Hals eines Untiers zugezogen hatte. Sein Retter hatte ihn mit einem Handschuh gereinigt, den nur Strafgefangene oder Abenteurer trugen. Abenteurer konnten sich ausweisen, dieser Mensch konnte es nicht.

„Du lässt augenblicklich den Türgriff los, oder ich werde dich vernichten!“

Der Mensch drückte die Klinke und ein Klicken drang aus dem Waffenrohr. Kaputt. Auch dieses System war beschädigt.

„Jetzt verstehe ich!“, rief die Leserin aus. Du hättest mich tatsächlich erschossen und das hat dich die ganze Zeit gequält!“ Das Licht fiel wie eine Springflut in die Welt und verzehrte die Farben und Konturen in seiner Nähe. Und wie eine Tsunamiwelle riss es den Roboter von der Tür fort. „Aber ich nehme deine Entschuldigung an. Danke für das grandiose Abenteuer, B05. Ich werde dich nie vergessen. Tschüss, alter Schrottklumpen! Du siehst mich morgen.“

B05/47 war zu verwirrt, um die Worte auszuwerten.

Was, bei allen Göttern, ist ein X-Turn? Zwar gab es in seiner Datenbank den einen oder anderen Hinweis, aber nichts, was ihn in seiner Situation weiterbringen könnte. Er schätzte, dass es daran lag, dass seine Grundausrichtung lediglich sein Überleben in der Außenwelt garantieren sollte und ihn nicht auf jeden Sonderfall vorbereitete. Wichtiger war die Frage, nach seinem nächsten Schritt. Er kam zu dem Schluss, dass die nächste Stadt ein geeignetes Ziel darstellte. Dort konnte er auf eine Reparatur hoffen und vor allen Dingen, ließ sich das Problem mit seiner Erinnerungskarte in Ordnung bringen.

Angetrieben durch diese Gedanken überflog er den Steg, der über die Insel führte. Eine Insel, die aus Gegenständen bestand, deren Struktur so unstet war, wie der Zeitpunkt an dem Arkastas Signal ertönte. Die Richtung war ihm gleichgültig. Er schätzte, dass die Entfernung zu allen Städten der näheren Umgebung sich nicht deutlich unterschieden. Zudem war es gleichgültig, wie lange er brauchte. Das Flugrelais war neu eingesetzt und es würde ihn sicher über die Welt tragen. Er kontrollierte seinen eingebauten Stabilisator, für den Fall, dass er sich auf die Schnelle ein Unterschlupf suchen musste, wenn Arkastas Ruf erneut erklang. Dann konnte er sich vor den Monstern verstecken und in Ruhe überlegen, was, bei den Tiefen der Unterwelt, dieser verflixte X-Turn sei.


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©2019 Claudia Roman - Autorin. Erstellt mit Wix.com

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