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Figureninterview: Mit Dr. Melanie Harmsen in der Straßenbahn

  • Autorenbild: claudia_roman
    claudia_roman
  • 25. Juni 2021
  • 2 Min. Lesezeit

These der Woche: Die Gentrifizierung ist unter Umständen alles, was wir haben



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Autorin: Guten Morgen, Frau Dr.Harmsen. Ist da neben Ihnen noch frei?


Dr.Harmsen: Setzen Sie sich ruhig mir gegenüber. Dann können Sie ihre Tasche auf Ihren Nebenplatz stellen. Es ist ja recht ruhig heute Morgen.


Autorin: Ruhig ist gut! Die Bahn ist völlig leer.


Dr.Harmsen: Stört Sie das?


Autorin: Nicht im Geringsten. Es ist nur sehr ungewöhnlich für einen Freitagmorgen, fast schon unheimlich. Ist heute ein Feiertag?


Dr.Harmsen: Ich bemerke, es stört Sie doch.


Autorin: Ich werde mich nicht in ein Psychospiel verwickeln lassen, Frau Dr.Harmsen! Darauf falle ich diesmal nicht herein.


Dr.Harmsen: Gut! Worüber sprechen wir heute?


Autorin: Ich habe Sie mittlerweile durchschaut, Sie stellen mir die ganze Zeit Fragen, um mich in eine Falle zu locken und ehe ich mich darüber wundern kann, breite ich mein Seelenleben vor Ihnen aus und merke es erst, wenn ich wieder zu Hause vor dem Fernseher sitze.


Dr.Harmsen: Wir können sehr gerne über Sie sprechen, wenn Sie darauf bestehen.


Autorin: Das ist nämlich Ihr Trick, nicht wahr? Sie drehen die Fragerei um und plötzlich bin ich der Interviewgast.


Dr.Harmsen: Wenn ich aus dem Fenster schaue, beschleicht mich eine Ahnung, warum es in dieser Straßenbahn so leer ist. Und es hat ausnahmsweise nichts mit Corona zu tun.


Autorin: Schlimmer! Ich bin nicht nur Interviewgast. Ich bin Patient!


Dr.Harmsen: Patientin! Aber um auf das Thema zu kommen...


Autorin: Und dann wird mir das Wort im Mund umgedreht oder ich werde kleinteilig korrigiert, aber nicht, weil es Sie interessiert, sondern um mich aus der Reserve zu locken.


Dr.Harmsen: Wenn ich mir das Viertel hier so anschaue und es mit der Gegend von vor 25 Jahren vergleiche, ist es unverkennbar, dass viele von den alten Gebäuden liebevoll saniert wurden.


Autorin: Aber ich werde mich diesmal nicht darauf einlassen.


Dr.Harmsen: Einige der Blocks wurden abgerissen und durch schmucke Doppelhäuser oder sogar Villen ersetzt.


Autorin: Ich hab eine Agenda erstellt ...


Dr.Harmsen: Es gibt wunderschön gepflegte Vorgärten und überdurchschnittlich viele Grünflächen.


Autorin: ...und an die werde ich mich halten,...


Dr.Harmsen: In vielen Einfahrten stehen zwei Wagen und das wird auch der Grund sein, warum wir hier unter uns sind.


Autorin: ... koste es was es wolle.


Dr:Harmsen: Was steht denn auf der Agenda?


Autorin: Nein! Ich werde ihre Frage nicht beantworten! Also: Ist die Gentrifizierung unter Umständen alles, was wir haben? Das steht auf meinen Zettel und wir werden uns mit nichts anderem beschäftigen!


Dr.Harmsen: Aber ich habe die ganze Zeit über die Gentrifizierung gesprochen! Ich glaube, sie ist der Grund dafür, dass die Bewohner dieses Viertels nicht, wie noch vor einigen Jahren, mit der Straßenbahn zu ihren Arbeitsstellen fahren, sondern ihr Auto benutzen. Der demografische Wandel in diesem Stadtteil ist sehr auffällig. Ich finde das Thema im Augenblick allerdings nicht sehr interessant. Ich würde lieber über andere gesellschaftliche Probleme sprechen. Was steht sonst auf ihrer Agenda?


Autorin: Moment! Ich schaue! Nichts!


Dr.Harmsen: Unter diesen Umständen ist die Gentrifizierung also in der Tat alles, was wir haben!


Autorin: Das scheint der Fall zu sein. Dann bedanke ich mich für das Gespräch.



Bild: Brian Martin/Pixabay

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