Figureninterview: Mit Charlotte im Turmzimmer
- claudia_roman

- 13. Aug. 2021
- 3 Min. Lesezeit
These der Woche: Ein Seitensprung ist mitnichten echt daneben.

Autorin: Hallo, Charlotte! Ich grüße Sie. Schön, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.
Charlotte Blohm: Ich bin nicht freiwillig hier.
Autorin: Natürlich sind sie freiwillig hier! Bis jetzt habe ich noch niemanden zu einem Interview genötigt.
Charlotte Blohm: Ich meine, ich bin nicht freiwillig in diesem Turmzimmer.
Autorin: Ich verstehe nicht. Sie hätten doch sagen können, dass Sie das Interview aus bestimmten Gründen ablehnen. Das wäre zwar sehr unglücklich und ich hätte für das Freitagsinterview improvisieren müssen, aber, glauben Sie mir, ich habe das schon gemacht.
Charlotte Blohm: Nein, Sie verstehen wirklich nicht. Ich kann aus diesem Zimmer nicht raus. Ich werde hier sozusagen gefangen gehalten.
Autorin: Ach! Und von wem?
Charlotte Blohm: Das weiß ich nicht. Die Person hat sich mir noch nicht vorgestellt.
Autorin: Wurden Sie verschleppt? Soll ich die Polizei einschalten?
Charlotte Blohm: Ich glaube nicht, dass das etwas nutzt. Ich bin nur in dieser Dimension eingesperrt. In meiner ursprünglichen Dimension gibt es eine andere Charlotte Blohm, die ganz unverdächtig in einem Buch liest.
Autorin: In welchem Buch?
Charlotte Blohm: Es heißt der „Zug der toten Kinder“. Das Buch hat meine Nachbarin geschrieben.
Autorin: Ich glaube, die Leserin dieser Zeilen wird Schwierigkeiten haben, den Zusammenhang zwischen dem Lesen eines Buches und der Gefangenschaft in einem fiktiven Turmzimmer herzustellen.
Charlotte Blohm: Aber das ist doch gar nicht so schwer! Immer, wenn ich das Buch lese, befinde ich mich in diesem Raum. Manchmal kommen Leute zu mir und wollen einen Rat oder ich muss ihnen etwas geben. Dann höre ich eine Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, was ich zu sagen, oder was ich zu tun habe. Und wenn es die Stimme erlaubt, darf ich das Buch wieder zur Seite legen und mein normales Leben weiterleben.
Autorin: Dann lesen Sie doch das Buch nicht weiter, wenn es sie stört.
Charlotte Blohm: Das habe ich schon einige Male versucht und es war scheußlich. Diese Stimme drängt mich dazu und wenn ich mich weigere, bestraft sie mich mit furchtbaren Alpträumen, die sich so real anfühlen, dass ich das Blut noch riechen kann und die Hitze des Feuers noch auf der Haut spüre, wenn ich aufwache. Es kommt sogar vor, dass ich klitschnass aus dem Schlaf aufschrecke. Und das meine ich wörtlich. Das ganze Bett fühlt sich an, als wäre es durch einen Ozean gezogen worden. Mein Mann hat sich schon beschwert und ist sogar eine Zeitlang auf das Sofa gezogen.
Autorin: Seltsam.
Charlotte Blohm: Allerdings. Ich bereue so sehr, dass ich das Buch überhaupt aufgeschlagen habe. Dabei fing es so vielversprechend an.
Autorin: Ich fasse zusammen, was ich verstanden habe: Solange Sie dieses Buch lesen, sind sie in diesem Turmzimmer gefangen, hören hin und wieder eine Stimme, die Ihnen sagt, was Sie tun und mit wem Sie interagieren sollen. Steht das denn in dem Buch?
Charlotte Blohm: Woher soll ich das wissen? Sehen Sie hier irgendwo ein Buch?
Autorin: Aber wie sind Sie dann hierher gekommen.
Charlotte Blohm: Keine Ahnung, ich schlage das Buch auf und bin hier.
Autorin: Und was passiert, wenn Sie das Zimmer durch die Tür verlassen?
Charlotte Blohm: Das können Sie ja mal probieren.
Autorin: Ein anderes Mal. Jetzt sollten wir uns endlich über die These der Woche unterhalten.
Charlotte Blohm: Die da wäre?
Autorin: „Ein Seitensprung ist mitnichten echt daneben.“
Charlotte Blohm: So, so!
Sie wissen ja, dass ich Polizistin bin. Ich kann mich an einen Einsatz erinnern, bei dem eine betrogene Ehefrau ein Klavier aus dem dritten Stock auf ihren Gatten geworfen hatte. Ich muss sagen, wäre er dazu noch in der Lage, hätte er diese These bezüglich des Klaviers wohl unterschrieben, bezüglich des Seitensprunges dann jedoch eher nicht.
Autorin: Frau Blohm, ich danke für Ihr Gespräch.
Charlotte Blohm: Sie können nicht durch die Tür.
Autorin: Aber sicher doch, sehen Sie.
Moment!
Hinter der Tür ist ja das gleiche Zimmer noch einmal!
Charlotte Blohm: Sag ich doch!
Autorin: Und wie komme ich hier wieder raus?
Bild von Thomas B./Pixabay






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